Begleitet von großer Vorfreude und Aufregung ging es auf Exkursion zur Berlinale 2024. Das bedeutete: morgens früh raus, Tickets ergattern für die nächsten Tage im online Shop, raus in die Stadt, auf zu den Kinos. Der Berlinale Alltag bestand aus wechselnden Screenings, Pressevorführungen, Weltpremieren und U-Bahn fahren.
Zwischendrin beim Kaffe und abends in der Kietzkneipe folgten angeregte Diskussionen über die gesehenen Filme und die vielfältigen, dichten Eindrücke des Festivalgeschehens.
Erfahrungsbericht von Elisa Barth
„Kulturelle Bildung“, so steht es im Programmheft der 74. Berlinale, „ist der rote Faden in den Aktivitäten der Berlinale, die Menschen jeden Alters dazu einlädt, die Gegensätze und die Schönheit der Welt in einem künstlerischen und zwischenmenschlichen Dialog und mit respektvoller Neugier immer wieder neu zu entdecken. […] Kulturelle Bildung lebt von mutigen Ideen, elektrisierenden Persönlichkeiten, Austausch – und berauschenden Kinomomenten.“
Gemeinsam mit anderen Studierenden des Masterstudiums Kulturelle Bildung ging es für mich im Februar 2024 auf Exkursion zur Berlinale. Als akkreditierte Studierende nahmen wir dort an den 74. Internationalen Filmfestspielen Berlin teil. Wir nutzten diese Chance, um zu erkunden und zu erfragen, inwieweit sich Kulturelle Bildung als roter Faden durch das Festivalgeschehen zieht.
Vom 15. bis 21. Februar 2024 nahm ich an einem der wichtigsten internationalen A-Festivals für Filmkunst teil und an einem „der größten Publikumsfilmfestivals der Welt, das jedes Jahr Zehntausende Besucher*innen aus aller Welt anlockt.“ (Berlinale online)
Während der fünf Tage vor Ort habe ich insgesamt zehn Filme aus unterschiedlichen Festivalsparten angesehen. Die Auswahl der Filme entstand meist zufällig, abhängig davon, welche Tickets verfügbar waren. Das Online-Kontingent war meist innerhalb kürzester Zeit aufgebraucht. Diese bunte Mischung an Filmen regte eigene Reflexionen über gesellschaftlich relevante Themen und die vielfältigen Ausdrucksformen der Kunst an.
Hier eine kurze Auflistung der zehn Filme, die ich gesehen habe: "Shahid", "Kottukkali", "Redaktsiya", "Reproduktion", "Mit einem Tiger schlafen"; Kurzfilmprogramm "Maria Lassnig", "Langue Étrangère", "Des Teufels Bad“; "Das Leere Grab", "Treasure“.
Durch diese bunte Mischung an Filmen wurde ich mit vielen verschiedenen Themen, filmischen Perspektiven, Erzählweisen, Genres und Sprachen konfrontiert. Dies regte eigene Suchprozesse in mir an und führte zu einer Überprüfung meiner eigenen Haltung gegenüber gesellschaftlich relevanten Themen und den Künsten.
Besonders anregend und inspirierend empfand ich es, wenn die Filmschaffenden im Anschluss an eine Vorführung im Kinosaal zur Diskussion anwesend waren und ich die Menschen erlebte, die an den Produktionen beteiligt waren. Für gewöhnlich lese ich deren Namen nur im Abspann und vergesse sie bald wieder. Sie live reden zu hören, über ihre künstlerische Arbeit, ihre
Beweggründe, die Entstehungshintergründe und manchmal auch über ganz persönliche Momente und Erinnerungen im Bezug auf den zuvor gesehenen Film, verdichtete meine Erfahrung mit dem zuvor Gesehenen.
In solchen Gesprächen kam auch das Publikum zu Wort. Ich hörte unmittelbare Reaktionen der mit mir im Kino sitzenden Menschen. Bei der Nachbesprechung von „Reproduktion“ bspw. kam es zu einer Diskussion über Gender, Rollenbilder, (Nicht-)Mutterschaft, Care-Arbeit und Kunst, an der sich Menschen verschiedener Generationen beteiligten. Mit diesen Themen hatte ich mich zuvor auch im Studium ausführlich befasst. Mitzubekommen, wie lebendig und emotional andere Menschen darüber diskutierten, hat mir gezeigt, welche Relevanz diese Themen gesellschaftlich noch immer haben. Auch ich entdeckte mich wieder mit eigenen Fragen in diesem Themenfeld konfrontiert.
Solche Momente hatte ich viele. Durch das Betrachten der Filmkunst begann sich mein individueller Blick auf die Welt wieder zu weiten, und ich begegnete neuen, anderen Perspektiven und Lebenswelten. Manchmal irritierten mich auch die vielen, dichten, wechselnden Eindrücke und Erzählweisen. Auch das regte meine eigenen Frage- und Suchprozesse an.
Während des Festivals verbrachte ich vermutlich ähnlich viel Zeit im dunklen Kinosaal wie in der U-Bahn mit vielen anderen, fremden Menschen um mich herum. Anders als in der U-Bahn fühlte ich mich den fremden anderen im Kinosaal verbunden. Ich hörte sie lachen, schluchzen und schnarchen. Wir teilten ein gemeinsames Erlebnis. Manchmal kam ich nach den Vorführungen ins Gespräch mit anderen Festivalbesucher*innen über die gesehenen Filme oder hörte anderen im Kinosaal zu, wie sie miteinander darüber ins Gespräch kamen. Fast jeden Abend traf ich mich mit meinen Kommilitoninnen zum angeregten Austausch über die Filme, die wir gesehen hatten, und deren künstlerische und gesellschaftspolitische Bedeutung.
Der Hauptverband für Cinephilie hebt diese soziale Komponente des Kinos in einem Positionspapier zur Filmbildung hervor und sieht im Kino „den idealen Ort, an dem konzentrierte Filmerfahrung in der Gemeinschaft erlebbar ist. Als sozialer und diskursiver Ort bietet das Kino die Möglichkeit eines direkten, unmittelbaren und intensiven Austauschs über Filme. Nicht nur junge Menschen können hier lernen, sich als mündige Zuschauer*innen öffentlich zu artikulieren, eigene Standpunkte zu formulieren, verschiedene Perspektiven auf Filme einzunehmen und andere Sichtweisen zu integrieren. Filmbildung eröffnet einen kollektiven Zugang zum Kino als Ort der ästhetischen und diskursiven Auseinandersetzung; sie ist gleichermaßen persönlichkeitsbildend wie gemeinschaftsstiftend – insofern ist sie politisch.“
Für die Zeit der Exkursion war ich vollkommen in solche Kinoerfahrungen eingetaucht, bemerkte, wie ich mich intensiv mit meinen Sichtweisen auf die Welt und den vielen anderen Perspektiven darauf, denen ich begegnete, beschäftigte.
Für mich zog sich Kulturelle Bildung wie ein roter Faden durch das Festivalgeschehen. Allerdings bewegte ich mich fernab von roten Teppichen und war offen für tiefgreifende Auseinandersetzungsprozesse. Zurück vom Festival frage ich mich, wie es außerhalb solcher renommierter Filmfestivals gelingen kann, Menschen für Kino und Film als Kunstform fernab des Mainstreams zu begeistern, und darüber hinaus in ihnen individuelle Bildungsprozesse durch das Medium Film anzuregen. Vor welchen Aufgaben steht die Kulturelle Bildung hier?
www.berlinale.de/de/festival/festivalprofil.html.