Jeden Monat stellt die STUBE, Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur (Wien), ein besonderes Kinder- und Jugendbuch aus der aktuellen Produktion vor.
Weitere Informationen zur STUBE: www.stube.at
Dort sind auch alle Kröten der vergangenen Monate zu finden.
Mit herzlichem Dank an die STUBE-Redaktion, die uns die Inhalte zur Verfügung stellt.
Sie sind unser ewiges Zuhause.
Sie zeigen uns jeden Tag, dass alles mit allem verbunden ist.
Dass sie die Verbindung sind.
Und in jeder Geschichte in diesem Buch schwing es ja mit: Sie, die Pflanzen, sind sowieso.
Und sie sind auch der Grund, warum wir als Leser*innen überhaupt ein Buch in Händen halten können. Denn, so viel ist gewiss, ohne Pflanzen keine Bäume, kein Papier und ergo keiner Bücher. Grund genug also, ein Sachbuch über Pflanzen genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber die Kröte des Monats rein als Sachbuch zu bezeichnen wäre vollkommen verkürzt… Aber alles der Reihe nach. Beginnen wir bei den Basics und einem Steckbrief dieses Buches:
Wissenschaftlicher Name: Sachbuch
Familie: Literatur
Aussehen: 132 Seiten stark, fest gebunden, mit weinrotem Leinenbändchen und Prägung auf dem Cover
Lebensraum: Bibliotheken von Menschen, die hochwertige Bücher lieben
Status: druckfrisch
Einordnung: Kunstbuch, Sachbuch, Lexikon …
Songs: Frogs, Frösche (zugegeben: Lieder über Kröten gibt es nicht allzu viele …)
Ein Sachbuch über Pflanzen, wie es dieses auf den ersten Blick zu sein scheint, braucht zunächst ein Ordnungssystem: Wissenschaftlicher Name, Aussehen, Vorkommen, Status. So weit so gut. Was weniger klassisch für ein Sachbuch über Pflanzen ist, sind etwa der hier vorangestellte Text, der zugleich auch das Vorwort bildet oder die Kategorie des Songs. Und darin liegt der besondere Reiz dieses hochwertig gemachten Buches: 26 Pflanzen aus der ganzen Welt finden hier zusammen und zu ihnen 26 erzählende, erklärende oder auch lyrische Texte, die ein Stück weit Literaturgeschichte nachzeichnen, dabei aber auch gesellschaftspolitische und historische Aspekte in den Blick nehmen.
Wussten Sie zum Beispiel, dass der Klatschmohn, im englischen Poppy genannt, als Erinnerungszeichen für den ersten Weltkrieg steht, da das Gedicht „In Flanders fields the poppies blow / between the crosses, row on row“ zu den bekanntesten lyrischen Werken aus dieser Zeit zählt?
Damit verwoben werden bionische Vorbilder und Naturmaterialien, die sich der Mensch über Jahrhunderte hinweg zu Nutzen gemacht hat. Der Kork beispielsweise, so erfahren wir, wird nicht nur für die Herstellung von Flaschenverschlüssen oder Geldbörsen verwendet, sondern diente auch als Material für ein Kleid von Lady Gaga.
Dieserart entsteht ein regelrechtes Kaleidoskop an Pflanzen, die in ihrer Ganzheitlichkeit im Sinne einer kulturgeschichtlichen Aufladung textlich und illustratorisch skizziert werden. Dabei werden gängige Pflanzen wie etwa die Rose oder der Apfelbaum guten Gewissens außen vorgelassen und stattdessen auf ungewöhnlichere Beispiele wie Heilkräuter, Kakteen, Golftange oder Cocastrauch fokussiert und die Wunderwelt rund um diese Pflanzen ergründet. Jedem Gewächs werden dabei zwei Doppelseiten gewidmet, auf denen in luftigem Layout die biologischen Hardfacts der Pflanzen mit der kulturellen Welt der Menschen und dem Nutzen für unser Leben in Einklang gebracht werden. So vielfältig wie die Pflanzen, die hier portraitiert werden, sind die Texte, in denen je eine genannte Pflanze zum Star wird: Ob Hildegard von Bingen (Farne), eine Geschichte aus dem zweiten Weltkrieg (Torfmoose) oder ein Schwank aus einem Konferenzzimmer einer Werbeagentur in Detroit (Fingerhut). In den kuratierten Texten wird deutlich, wie omnipräsent – auch in unserem Sprachgebrauch – Pflanzen sind.
Omnipräsent sind in diesem Buch auch die feingliedrigen Illustrationen von Florian Weiß, der dafür eine Punktiermaschine nach dem Vorbild eine Tätowiermaschine eingesetzt hat. Die genutzte Farbpalette orientiert sich dabei ganz an der Natur. Neben Aquarellfarben kommen allerlei Natursäfte zum Einsatz: Ob Erde, Pflanzenextrakte, Wein, Kaffee, verschiedene Gewürze oder sogar Blut. Die Bezeichnung eines Natursachbuches ist hier also auch in der Farbgebung Programm. Die portraitierten Pflanzen werden dabei unterschiedlich in Szene gesetzt: in kleinen schwarz-weiß-Vignetten, detailgetreuen Abbildungen von Blüten, Blättern, Stängeln und Stämmen und großflächigen, manchmal sogar seitenfüllenden Illustrationen. In diesen finden nicht nur Entwicklungsstadien der Pflanzen ihren Platz, sondern entsprechend zur Textsortencollage schafft der Künstler ein mehrteiliges Gesamtbild, in dem kulturgeschichtliche Aspekte und die Bedeutung der Pflanze für den Menschen gekonnt ineinander verflochten werden. Fast wie alte Bildtafeln oder historische Bestimmungsbücher anmutend geben die Bilder einen fein kolorierten Einblick in die Fülle an Bedeutungen einer einzelnen Blume, Pflanze, Blüte. Dabei erinnert das Buch auch an Linda Wolfgrubers „Die kleine Waldfibel“, 2020 ebenfalls bei Kunstanstifter erschienen.
Aus österreichischer Perspektive ist natürlich eine Blüte besonders interessant: Das Alpen-Edelweiß, das heute stark gefährdet und einst von Kaiser Franz Joseph I. für seine Sisi am Großglockner gepflückt wurde (so erzählt es zumindest die Legende). Zudem verkörpert es Werte wie Liebe, Mut, Treue und Gemeinschaft.
Am Ende des Buches haben wir als Leser*innen viel gelernt: Unter anderem auch, dass es in Spitzbergen in den Tiefen des Permafrosts eine Samendatenbank gibt, die mit 1. September 2023 1.255.332 Saatgutproben aus 99 Genbanken mit insgesamt 6.120 Arten von Pflanzen beheimatet, die das Überdauern der Pflanzenwunderwelt unserer Erde sichern sollen. Und mit dem Zitat „We hope that the seeds that are stored here are never needed.“ Dafür gilt es Sorge zu tragen, denn wie eingangs erwähnt wurde:
Sie sind unser ewiges Zuhause.
Sie zeigen uns jeden Tag, dass alles mit allem verbunden ist.
Für alle jene, die sich auch musikalisch mit den Pflanzen in diesem Buch verbinden wollen, steht auf Spotify eine Playlist bereit, die alle Songs versammelt, die von der Autorin assoziativ zu den Pflanzen im Steckbrief angeführt werden:
So mit (mindestens!) einem Ohrwurm versorgt, etwa „Ein kleiner grüner Kaktus, steht draußen am Balkon …“, lässt es sich beschwingt durch dieses wunderbare Buch blättern und einen Teil der irdischen Pflanzenwelt ergründen.
Rezension von Alexandra Hofer