Berufsbiografie I
Marcus Rauterberg (Jg. 1968) hat nach dem Abitur und dem Zivildienst 1990 das Studium für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen an der Universität Lüneburg mit den Studienfächern Deutsch, Sachunterricht und Ästhetische Bildung aufgenommen.
Im Anschluss an das Staatsexamen hat er 1994 ein Aufbaustudium zur Promotionsberechtigung absolviert. Parallel wurde er wissenschaftlicher Angestellter zunächst an der Universität Lüneburg, ab 1999 an der Universität Frankfurt im „Institut für Pädagogik der Elementar- und Primarstufe“ im Schwerpunkt „Sachunterricht“. Unterbrochen wurde die Tätigkeit dort 2007 von einer Vertretungsprofessur an der Universität Osnabrück, ergänzt wurde sie durch Lehraufträge zum Sachunterricht in internationaler Perspektive an der Universität Bremen.
Nach Abschluss der Promotion hat Dr. Marcus Rauterberg einige Monografien zur Geschichte und zur Disziplin des Sachunterrichts vorgelegt. In zahlreichen Beiträgen und Vorträgen befasste er sich insbesondere mit der Gegenstandskonstitution im Sachunterricht und erkenntnistheoretischen Fragen des Sachlernens sowie mit dem Sachunterricht und seiner Didaktik als wissenschaftlicher Disziplin. 2003 hat er die onlinebasierte Fachzeitschrift www.widerstreit-sachunterricht.de konzipiert, gegründet und bis 2008 herausgegeben.
Nach knapp 15 Jahren an Universitäten hat Dr. Marcus Rauterberg die Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher begonnen und 2010 abgeschlossen. Zum 1.10.2010 hat er eine Stelle als Akademischer Rat an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg angetreten. Neben administrativen Aufgaben für den Studiengang „Frühkindliche Bildung und Erziehung“ befasst er sich in Lehre und Forschung konzeptionell und empirisch mit Fragen der kindlichen Welterkundung und – mit Referenz auf Martha Muchow – kindlichen Welt-um-Nutzungen.
2015 erfolgte die Beförderung zum Akademischen Oberrat. In dieser Art von Erzählung passierte außer meiner Berufung in den wissenschaftlichen Beirat der Martha Muchow Stiftung seitdem nichts mehr.
Berufsbiografie II
Am 1.10.2010 werde ich Akademischer Rat an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg im Bereich der Frühkindlichen Bildung und Erziehung. 20 Jahre zuvor am 1.10.1990 hatte ich das Studium für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen an der Universität Lüneburg aufgenommen. Alles, was ich in diesen 20 Jahren in Studium, Beruf und Ausbildung gemacht habe, habe ich gerne und oftmals mit Begeisterung gemacht, auch wenn immer unsicher war, wie es beruflich weitergeht: Im Lehramtsstudium hieß es, dass Lehrer nicht eingestellt würden, später waren die Aussichten für Grundschuldidaktiker an Hochschulen schlecht und während der Ausbildung zum Erzieher war unsicher, in welchem Bereich im Feld der Elementarpädagogik ich denn auf Dauer (gerne) arbeiten würde.
Rückblickend betrachtet kann ich sagen, dass Ausbildungen und Beruf sehr stark vom persönlichen Wohlbefinden, von der persönlichen Haltung zu den jeweiligen Aufgaben abhängen: So war es nach 14 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Vertretungsprofessor an den Universitäten Lüneburg, Frankfurt, Osnabrück und Bremen 2008 eine schwierige, rückblickend aber sehr gute Entscheidung, die Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher zu beginnen, Berufs-Schüler zu sein – in einer Klasse mit früheren Studentinnen.
Bis zu diesem Zeitpunkt bestand die Arbeit an den verschiedenen Hochschulen neben den Lehrveranstaltungen insbesondere darin, zunächst die Promotion abzuschließen, Vorträge zu halten, zu publizieren sowie in der Gründung und Herausgebertätigkeit der Zeitschrift www.widerstreit-sachunterricht.de für den theoretischen Diskurs des Sachunterrichts. Manche Artikel und Tätigkeiten sind mir heute nicht mehr so wichtig, anderes sehe ich heute noch als produktiv – für mein Denken und Verstehen, aber auch für den Fachdiskurs, der das alledings nicht unbedingt auch so sehen muss. Diese Beiträge aus der Zeit „im Sachunterricht“ sowie neuere mit Bezug zur Elementardidaktik habe ich hier zusammengestellt.
Inhaltlich war meine wissenschaftliche Tätigkeit fokussiert auf den Bereich des Sachunterrichts und seine Didaktik. Innerhalb dessen ging es mir um die Frage, wie sich der Sachunterricht als wissenschaftliche Disziplin konstituieren und beschreiben lässt. Mit der ungeklärten Frage der Bezugsdisziplin bzw. der Bezugsdisziplinen des Sachunterrichts ist – sofern man von Traditionen absieht – auch die Verfassung seiner Gegenstände nicht geklärt. Was ist also der Apfel, wenn er Thema im Sachunterricht wird? Ein Beispiel für Kernobst, ein Nahrungsmittel, eine Ware, ein heimisches Obst?
Diese Frage lässt sich aus drei Perspektiven betrachten:
Dieses inhaltliche Interesse steht am Ende meiner incl. Studium 20-jährigen Befassung mit dem Sachunterricht.
Streng genommen bin ich 2010 dann als Fachfremder in den Bereich der Elementarpädagogik eingestiegen – eine Situation, die in der damals neuen Disziplin nicht ungewöhnlich war.
Viele Fragen lassen sich aber aus der Primar- in die Elementarpädagogik übertragen bzw. tauchen in der neuen Disziplin wieder auf. Im Zusammenhang mit dem Bereich des Welterkundens von kleinen Kindern lässt sich z.B. die Frage stellen, ob und inwiefern hier Fachwissen und Fachmethoden eine Rolle spielen können und sollen.
Kinder erkunden für sich auf jeden Fall die Welt, wobei manches davon – auch mir als – Pädagogen nicht gefällt. Das bedeutet aber nicht, dass sie deshalb nun permanenten (wissenschaftsorientierten) Lehrangeboten unterworfen werden müssen. Entgegen dem momentanen politischen (und wirtschaftlichen) Anspruch der zukunftsorientierten Aus-Bildung schon im Kindesalter, ließe sich pädagogisch durchaus ein Entschleunigungsaxiom formulieren. Dieses kann Kindern Zeit und/aber auch Möglichkeiten geben, allein und in Gruppen Zahlen-, Sprach-, Schrift-, Glaubens-, Gestalt-, Klang- und Sachwelten zu erkunden. Insofern befasse ich mich mit der Frage: Wie erkunden Kinder Welt? Wie können wir als Erwachsene mit Kindern Welt erkunden, ohne die kindlichen Methoden und Ergebnisse der Welterkundung – vor dem Hintergrund ihrer Diskriminierung als defizitär – „zu unterstützen“, zu berichtigen oder anzuleiten? Für das Welterkunden mit Kindern und den Sachunterricht mit Schüler*innen versuchen wir in der Werkstatt Sachlernen in Früher Bildung und Grundschule im Rahmen der „Didaktischen Villa“ konzeptionell wie auch in der Bereitstellung von Materialien Inspiration, bestenfalls Innovation anzubieten.
Zum Schluss I: Welterkunden mit Kindern und Studierenden
Kann „mal sehen, was passiert, wenn ich nicht eingreife, fördere, unterstütze, lehre“ auch ein elementardidaktisches Prinzip sein? Können die Erwachsenen, Eltern, Pädagog*innen das gegenwärtig aushalten? Lernen die Kinder da was? Was lernen die Kinder da? Ist das wichtig/„richtig“?
Und das verweist auf die grundsätzlichere Frage, wie die Perspektive von (jungen) Kindern auf die Welt vorstellbar ist. Weitergedacht: Gibt es eigentlich von Natur aus Kinder oder sind sie als kulturelle Konstruktionen zu verstehen? Ein Band, der sich an der Frage versucht, erscheint Ende 2021: Zur Frage nach der Perspektive des Kindes (Beck, Gertrud/Deckert-Peaceman, Heike/Scholz, Gerold (Hrsg.) 2021). Entstehungskontext dieses Bands ist die Martha Muchow Stiftung, die auf Muchows Studie „Der Lebensraum des Großstadtkindes“ aus den 1930er Jahren rekurriert (Muchow/Muchow 2012).
Damit ergeben sich ein Reihe von spannenden Fragen im Bereich der Kindheitsforschung, die auf unterschiedliche Weise bearbeitet werden können. Jeder elementardidaktische Ansatz in jedem Bildungsbereich beantwortet die Frage nach seinem Kindverständnis faktisch – zumindest und zumeist implizit.
Zum Schluss II:
5 Jahre Auseinandersetzung anlässlich des mit Verve in die elementardidaktische Diskussion geworfenen Ansatzes zur frühen „naturwissenschaftlichen Bildung“ haben für mich 2018 einen Ab-Schluss im Band „Umgangsweisen mit Natur(en) in der Frühen Bildung III. Über Naturwissenschaft und Naturkunde“ (Rauterberg/Scholz (Hrsg.) 2018) gefunden. Die Debatte, deren Parteien ich einerseits in Vertreter*innen einer in der Regel mit sog. Experimenten vollzogenen Lehre sog. Naturwissenschaft und andererseits in aus der Erziehungswissenschaft kommenden Vertreter*innen einer Selbstbildung anhand von Naturphänomenen sehe, war primär eine politische; sie hätte ohne die politische Aufmerksamkeit für den Elementarbereich so nicht bestanden. Das Nicht-Einlösen-Können des begrifflich suggerierten Anspruchs, mit Kindern im Rahmen einer chemisch-physikalischen Didaktik zu arbeiten, zeigt sich auch in der Änderung des didaktischen Konzepts Der Forscherkreis der Stiftung "Haus der kleinen Forscher", das auf die Einspeisung fachwissenschaftlicher Deutungen mittlerweile verzichtet. Begrifflich wurde nicht in gleicher Weise abgerüstet, weiterhin geht es der Stiftung um „gute frühe Bildung in den Bereichen ... Naturwissenschaft und Technik (MINT)“. Mittlerweile werden z.B. von Kosler (2017) nachvollziehbar Fragen zur Möglichkeit einer chemie-physikorientierten Naturwissenschaftsdidaktik im Kindergarten gestellt. Vorerst bleiben hiervon einige offen. Für mich scheint eine bedenkenswerte Möglichkeit zum elementardidaktischen Umgang mit und zur Deutung von Natur in Anlehnung an die Naturkunde zu bestehen (vgl. Rauterberg 2018). Zentrale Referenz für die Differenzierung einer qualifizierenden und einer quantifizierenden Naturwissenschaft stellt Theodor Litt mit seinem Band „Naturwissenschaft und Menschenbildung“ (1952) dar.
2021 kann ich rückblickend auf die letzten Jahre der Debatte feststellen, dass neben dem Naturerfahrungs- und dem experimentbasierten Ansatz einer an der Scientific Literacy orientierter Ansatz etabliert wurde (überblickend vgl. Steffensky 2017), der klar auf die Naturwissenschaften abzielt, dazu aber nicht auf Experimente setzt und aus meiner Sicht deutliche Probleme z.B. bei der didaktischen Übersetzung naturwissenschaftlicher Modelle aufweist. Beispielsweise wird das übergeordnete Konzept „Materie“ als Kitathema mit „Materialen“ differenziert in „Holz, Plastik, Metall“, die u.a. gefunden werden können, formuliert (a.a.O., S. 14). Schaut man auf das im Ansatz genannte Verhältnis der kindlichen Erfahrungen zu Naturwissenschaft, wird von einer Entsprechung mit „naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen“ beispielsweise beim „Sammeln und Ordnen“ ausgegangen (a.a.O., S. 7). Insgesamt kann auf Basis der Übersicht von Steffensky gesagt werden, dass die (deutsche) Forschungslage für die naturwissenschaftliche Didaktik im Elementarbereich dünn ist, vielfach aus dem mathematischen Bereich und vor allem aus dem englischsprachigen Raum mit anders strukturierten Elementar- und Schulsystemen übertragen werden muss (a.a.O., S. 8; S. 56-69).
Zum Schluss III: Lehrer*innen
Biografien, Lernprozesse und Bildungsmöglichkeiten haben immer auch mit anderen Menschen und manchmal mit besonderen Situationen zu tun. Ich danke einigen „Lehrer*innen“ ausdrücklich, die mir an Universitäten und Hochschulen vertraut und damit Lernen, Denken, Bildung ermöglicht haben. Ich nenne hier nur Cornelia Albers, Getrud Beck, Wolf Engelhardt, Karl-Josef Pazzini, Gerold Scholz, Hans-Joachim Fischer und viele andere nicht. Mein Bild von Schule ist durch die Ausbildungszeit an der Berta Jourdan Schule in Frankfurt durch die dortigen Lehrer*innen gerettet worden.
Literatur
Beck, Gertrud/Deckert-Peaceman, Heike/Scholz, Gerold (Hrsg.) (2021): Zur Frage nach der Perspektive des Kindes. Opladen: Budrich.
Horak, Renate/Rauterberg, Marcus/Schmid, Elena (Hrsg.) (2013): … bis nach Istanbul. Dokumentation von Planung und Ergebnissen einer Forschungsexkursion von Studierenden der Frühkindlichen Bildung. www.widerstreit-sachunterricht.de 19/Okt. 2013
Knapp, Claudia/Schneider, Katharina (Hrsg.) (2019): Moritz und die Flasche: Interpretationen der Auseinandersetzung eines Kleinkindes mit Kultur. Weimar und Berlin: Verlag das Netz
Kosler, Thorsten (2017): Naturwissenschaftliches Denken mit Kindern? Zur Diskussion um die Möglichkeit, Kinder im Elementar- und Primarbereich an naturwissenschaftliches Denken heranzuführen. In: www.widerstreit-sachunterricht.de, Nr. 23, Oktober 2017.
Lenz, Maren/Meischel, Maren/Rauterberg, Marcus (2012): Studierende des Studiengangs Frühkindliche Bildung und Erziehung denken mit Kindergartenkindern über die Frage „Wie schlafen Fische?“ nach. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (TPS) 8/2012, S. 50-52
Litt, Theodor (1952): Naturwissenschaft und Bildung. Heidelberg: Quelle & Meyer.
Muchow, Martha/Muchow, Hans Heinrich (2012): Der Lebensraum des Großstadtkindes. Weinheim: Juventa.
Rauterberg, Marcus (2018): Naturkunde und Naturwissenschaft im Sachlernen der Elementar- und Primarstufe. In: Rauterberg, Marcus/Scholz, Gerold (Hrsg.): Umgangsweisen mit Natur(en) in der Frühen Bildung III. Über Naturwissenschaft und Naturkunde. www.widerstreit-sachunterricht.de, 12. Beiheft. Berlin, S. 37-51.
Rauterberg, Marcus/Scholz, Gerold (Hrsg.) (2018): Umgangsweisen mit Natur(en) in der Frühen Bildung III. Über Naturwissenschaft und Naturkunde. www.widerstreit-sachunterricht.de, 12. Beiheft. Berlin
Steffensky, Mirjam (2017): Naturwissenschaftliche Bildung in Kindertageseinrichtungen. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Expertisen, Band 48. München.