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Das Ludwigsburger Modell der Lehrkräfteausbildung in Philosophie/Ethik

Es kann also niemand sich für praktisch bewandert in einer Wissenschaft ausgeben und doch die Theorie verachten, ohne sich bloß zu geben, daß er in seinem Fache ein Ignorant sei: indem er glaubt, durch Herumtappen in Versuchen und Erfahrungen, ohne sich gewisse Prinzipien (die eigentlich das ausmachen, was man Theorie nennt) zu sammeln, und ohne sich ein Ganzes (welches, wenn dabei methodisch verfahren wird, System heißt) über sein Geschäft gedacht zu haben, weiter kommen zu können, als ihn die Theorie zu bringen vermag.
(Immanuel Kant, "Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis" (1793), AA VIII, S. 276)

Nach dem Ludwigsburger Modell beruht die Ausbildung von Lehrkräften für die Fächer Philosophie und Ethik auf vier gleichermaßen relevanten Säulen. Mit dieser Metaphorik lehnen wir uns bewusst an die bestehenden Säulenmodelle innerhalb der Lehrkräfteausbildung an. Da in den Fächern Philosophie/Ethik das Philosophieren als Tätigkeit im Vordergrund steht, erhält dieses Säulenmodell in der Ausbildung von Fachlehrkräften für unsere Fächergruppe jedoch einen ganz eigenen Charakter. 

Die beiden Säulen im Vordergrund (Philosophieren und Philosophie unterrichten) repräsentieren den nach außen hin sichtbaren Anteil des Berufs von Fachlehrkräften der Fächergruppe Philosophie/Ethik. Während wir die Tätigkeit des Philosophierens als einen Bildungsprozess verstehen, erfordert das Unterrichten von Philosophie eine Ausbildung. Der Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung liegt unter anderem darin, dass es zwar möglich ist, andere Menschen auszubilden, nicht jedoch, sie zu bilden.

Bildung setzt immer ein aktives Tätigsein derjenigen, die sich bilden, voraus. Das hierfür relevante Tätigsein liegt in der Reflexion auf das je eigene Selbst-Welt-Verhältnis. In diesem Sinne ist Philosophieren ein Bildungsprozess, da in der Tätigkeit des Philosophierens eine Bestimmung des eigenen Selbst (als philosophierende Person) zu einer durch die Lebenswelt vorgegebenen Problemlage gehört. Dieser Bildungsprozess kann sich an vielfältigen Probleme orientieren und ist daher trotz seines im Kern philosophischen Instrumentariums als interdisziplinär zu verstehen. Nur wenn über philosophisch-ethische Probleme philosophiert werden soll, wenn das Ziel also sehr konkret philosophisch-ethische Bildung ist, haben wir es hier mit einem fachspezifischem Instrumentarium zu tun, dessen erfolgreiche Anwendung auf Seiten der den Bildungsprozess initiierenden Lehrkräften bereits philosophisch-ethische Bildung voraussetzt.

Die Pointe des Ludwigsburger Modells liegt darin, dass das Philosophieren als Bildungsprozess eine zusätzliche Säule im Bereich der Fachwissenschaft erfordert, die dem Philosophieren Tiefe verleiht. Dies heißt nichts anderes, als dass die Tätigkeit des Philosophierens nur von solchen Lehrkräften zuverlässig und erfolgreich zur Initiation von Bildungsprozessen angewendet werden kann, die in dem Problemfeld, über das sie (in ihrem jeweiligen Fach) philosophieren, auch tatsächlich über Bildung verfügen. Diese Bildung setzt unserer Überzeugung nach ein fachwissenschaftliches Studium voraus. Erst die aktive Auseinandersetzung mit fachwissenschaftlichen Inhalten und Methoden nach wissenschaftlichen Maßstäben liefert einen belastbaren Qualitätsstandard, der sicherstellt, dass das Initiieren von Bildungsprozessen in einer Lehr-Lern-Gruppe gelingen kann. In der Fächergruppe Philosophie/Ethik ist die Bezugswissenschaft die akademische Philosophie in ihrer historischen und systematischen Breite.

Auf der Ebene der Ausbildung zeigt sich ein ähnliches Bild, jedoch unter anderen Vorzeichen. Das Unterrichten von Philosophie und Ethik als Fach ist in erster Linie auf Erfahrungen mit der Zielgruppe angewiesen, die im besten Fall innerhalb derjenigen Institution gesammelt werden sollten, in der die Lehr-Lern-Prozesse zukünftig stattfinden werden. Die Empirie zeigt, dass dieser Teil der Ausbildung von Lehrkräften in erster Linie über eigene Praxiserfahrung und die Orientierung an Vorbildern an den Schulen beruht. Der von Studierenden immer wieder formulierte Wunsch nach Praxisbezug in der Ausbildung hat hier seine uneingeschränkte Berechtigung. Der Ort für diesen Praxisbezug ist einerseits das (Semester-)Praktikum, andererseits die zweite Ausbildungsphase (Referendariat). Alle anderen Formen von Praxisbezügen, die in Abwesenheit der eigentlichen Zielgruppe (der Schülerinnen und Schüler) im Rahmen regulärer Seminare in der ersten Ausbildungsphase stattfinden, können (und sollen) diesen erfahrungsgestützten Praxisbezug nur vorbereiten, nicht jedoch ersetzen. 

Auch dieser Teil des Ludwigsburger Modells hat jedoch eine Pointe. Denn auch die Säule des Unterrichtens von Philosophie benötigt eine zusätzliche Säule im Bereich der Wissenschaft, die ihr Tiefe und Stabilität verleiht. Diese Säule ist die Fachdidaktik, verstanden als akademische Wissenschaft. Die Fachdidaktik steht zur Lehrpraxis in einem vergleichbaren Bezug wie die Fachphilosophie zur Tätigkeit des Philosophierens: Man sieht auf den ersten Blick nicht, dass sie im Hintergrund steht, jedoch unterscheidet sich guter Unterricht von schlechtem und mittelmäßigem Unterricht über den Grad, in dem die Lehrkraft ihre didaktischen Entscheidungen (intuitiv oder willentlich) an den Reflexionsmaßstäben der Fachdidaktik orientiert. Die Fachdidaktik liefert eine Reflexionsperspektive, die verhindern soll, dass die an der Schule vorgefundene Praxis unkritisch imitiert statt nach gut begründeten Kriterien gestaltet wird. Richtig verstanden versetzt sie die Lehrkraft in die Lage, Ziele, Voraussetzungen, Inhalte, Methoden, Medien, Sozialformen, politische und institutionelle Rahmenbedingungen und andere Aspekte von Lehr-Lern-Prozessen in ein stimmiges Verhältnis zu setzen. Erst die kritische Reflexion der Praxis gewährleistet guten Unterricht.

Die Abteilung Philosophie der PH Ludwigsburg verfolgt die Strategie, die vier genannten Säulen der Lehrkräfteausbildung als gleichberechtigte Bestandteile des Studiums zu würdigen, ohne einer oder zwei dieser Säulen gegenüber den anderen übermäßiges Gewicht zu verleihen. 

Ein Bericht über das hier vorgestellte Ludwigsburger Modell der Ausbildung von Lehrkräften in den Fächern Philosophie und Ethik ist in englischer Sprache hier erschienen:  

Brosow, Frank: „The Ludwigsburg Model of Teacher Training in Ethics“, Journal of Didactics of Philosophy I (2017), S. 40-43.

Empirische Forschung zum Modell: Die KOALA-Forschungsprojekte

Im Zuge der Innovationsinitiative Kooperation in allen Lehramtsfächern auf- und ausbauen (KOALA) der Professional School of Education Stuttgart-Ludwigsburg (PSE) haben die Institute für Philosophie der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und der Universität Stuttgart mehrere kooperative Forschungsprojekte zu den Säulen des Modells und weiteren Aspekten durchgeführt:

KOALA 2018: Empirische Studie zu fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kerninhalte des Philosophie- und Ethik-Studiums

Diese Studie diente der Erforschung der beiden Säulen zur akademischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik. In mehreren Online-Expertenbefragungen wurden ca. 1500 promovierte Fachwissenschaftler*innen und über 200 Fachdidaktiker*innen der ersten und zweiten Ausbildungsphase nach ihrer Einschätzung zur Relevanz unterschiedlicher fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Kerninhalte des Philosophie-/Ethik-Studiums gefragt. Über 300 Fachwissenschaftler*innen und über 70 Fachdidaktiker*innen haben sich an der Studie beteiligt, deren Ergebnisse wir Ihnen hier vorstellen.

KOALA 2019: TRAP-Mind-Theory / DNA-Matrix des Philosophierens

Dieses Forschungsprojekt diente der Erforschung der vorderen Säulen. In ihr stand die von Frank Brosow entwickelten TRAP-Mind-Matrix (deutsch: DNA-Matrix des Philosophierens) als Planungs- und Analyseinstrument für philosophisch-ethische Bildungsprozesse im Zentrum. Ziel dieser Matrix ist es, die in der Praxis oftmals auf das Paradigma der Kompetenzorientierung ausgerichteten Unterrichtsprozess um das Element des Philosophierens als Bildungsprozess zu erweitern und diesen Prozess gleichzeitig als mit den Mitteln der empirischen Bildungsforschung analysierbar zu erweisen. Die Anwendbarkeit dieses Instrumentariums für die Planung und Analyse von Philosophie- und Ethikunterricht wird im Jahr 2019 an mehreren Schulen für die Klassenstufen 5-12 erforscht. 

KOALA 2020: Empirische Studie zu Lehrpraxis und Inklusion in der Fächergruppe Philosophie/Ethik

Diese Studie diente der Vernetzung von erster und zweiter Ausbildungsphase, indem deutschlandweit Lehrende der zweiten Ausbildungsphase gefragt wurden, welche Probleme sie in der Ausbildung von Philosophie- und Ethiklehrkräften ausmachen und was von Seiten der Hochschulen unternommen werden könnte, um diese Probleme zu verringern. Hierbei wurde erfragt, ob das Ludwigsburger Modell eine Lösungsmöglichkeit für die ausgemachten Probleme darstellt. Ein besonderer Fokus lag dabei auf dem Themenbereich Inklusion. Coronabedingt gab es hier einen geringen Rücklauf.

KOALA 2021: Studentisches Projekt Bildungsphilosophie und Digitalisierung

Studierende und Dozierende der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und der Universität Stuttgart gingen in diesem Projekt der Frage nach, welche Implikationen die Digitalisierung für (philosophisch-ethische) Bildungsprozesse in Schule und Hochschule hat. Die Ergebnisse hieraus fließen in die Ausgestaltung der Veranstaltungen aus den hinteren, teilweise aber auch den vorderen Säulen des Modells ein.

KOALA 2022: Empirische Studie zu Kriterien der Leistungsbeurteilung in Philosophie/Ethik

In dieser Studie wird untersucht, welchen Kriterien adäquate Leistungsbeurteilung in Philosophie/Ethik entsprechen muss. Dies ist einerseits für Bewertungsprozesse an der Hochschule notwendig, sodass es für jede der Säulen relevant ist, um dort gerechte Leistungsbeurteilung gewährleisten zu können. Andererseits steht ebenfalls die Leistungsbeurteilung im schulischen Philosophie- und Ethikunterricht im Fokus.