Jörg Michael Kastl
Generalität des Körpers
Maurice Merleau-Ponty und das Problem der Struktur in den Sozialwissenschaften
1. Auflage 2021
broschiert
350 Seiten
22.2 x 14 cm
ISBN 9783958322233
Open-Access-Zugang: https://www.nomos-elibrary.de/de/10.5771/9783748911333/generalitaet-des-koerpers
Die Studie entdeckt Merleau-Ponty als Kritiker eines romantischen Körperkonzepts, als Cartesianer gegen den Strich, als Gedächtnis-, Sprach- und Strukturtheoretiker neu. Seine Vorlesungen der 1950er Jahre hinterfragen Grenzziehungen der »Menschenwissenschaften« (Elias) und eröffnen Perspektiven eines interdisziplinären Verständnisses von Natur, Kultur und sozialer Struktur jenseits von Naturalismus, Kulturalismus und Strukturalismus.
Rezensionen/Pressestimmen:
„Jörg Michael Kastls fulminantes Werk“ [...] „ist kein einfaches Buch und es hat auch nicht nur eine Stoßrichtung. Auf der Basis einer genauen Rekonstruktion der Schriften und Konzepte von Merleau-Ponty, die nach der Phänomenologie der Wahrnehmung entstanden, wird das Problem der Struktur in den Sozialwissenschaften bearbeitet. Dafür werden auch sowohl wissenschafts- bzw. soziologiegeschichtliche Aspekte aufgegriffen. [...] Daneben offeriert Kastls breiter Strang zur Körpersoziologie eine intensive Reflexion des Körperbegriffs. Das romantische Körperkonzept (der Körper als eigenständiges Subjekt mit Tiefe und Innerlichkeit) [...] wird kritisiert, ebenso wie die unreflektierte Integration von Hermann Schmitz’ neofaschistischer Leibmythologie. Stattdessen wird auf Basis von Körperschemata und Gedächtnis ein tragfähiger und differenzierter Begriff des Körpers entwickelt. Mit Merleau-Pontys Bezug auf de Saussure und dessen differenztheoretischen linguistischen Ansatz wird zudem auf Basis der Körperlichkeit von Sprache und Sprechen eine (körpergebundene) Soziologie der Sprache entwickelt, die ein länger vernachlässigtes und erst jüngst wieder aktualisiertes Feld der Soziologie fruchtbar machen kann. Und nicht zuletzt wird über den Bezug auf Husserls Zeitanalysen mit dem Gedächtnisbegriff die Zeit als Grundfigur sozialer Strukturierung etabliert. [...] Der Autor konstatiert, dass man durchaus soziologisch wie gewohnt weiter arbeiten könne. [...] Und auch theoretisch bleibt er bescheiden. Hier ist jedoch festzustellen, dass eine zukünftige Verwendung des Körperbegriffs doch zumindest gute Gründe entwickeln muss, wenn nicht auf Kastls Generalität des Körpers zurückgegriffen werden soll. Das gilt ebenso für sprachsoziologische Ansätze. Denn auch wenn der Band das Problem der Strukturierung des Sozialen nicht löst, wird es doch auf einem begrifflich hohen Niveau reflektiert, von dem aus weiter theoretisiert werden kann und hoffentlich auch wird.“ Gerd Sebald in: Zeitschrift für theoretische Soziologie 2022 (1-2): 145-148
„Soziologie befasst sich mit der Erforschung sozialer Zusammenhänge und fragt dadurch nach den ‚sozialen Elementen‘, die in einem oder mehreren Zusammenhängen stehen. [..] Es ist im Kern dieses Problem der Struktur, das Kastl aufgreift [...]. Er geht dabei erfrischend alteuropäisch vor – um eine von Luhmann angeführte Wendung in einem positiven Verständnis aufzugreifen. Alteuropäisch ist das Buch im Hinblick auf den Bildungshorizont, der es durchzieht, wie auch im Hinblick auf die theoretische Auseinandersetzung mit einem Autoren und dessen Werksentwicklung vor dem Hintergrund des intellektuellen Zeitgeistes und Feldes der Philosophie und Soziologie. Erfrischend alteuropäisch ist es in zweierlei Hinsicht: Zum Ersten ist es erfrischend, dass überhaupt ein Buch vorliegt, das diesen Bildungshorizont fruchtbar aufruft, um eine entsprechend grundlegende Fragestellung zu bearbeiten, und es intellektuell nicht bei der schlichten problemorientierten Expertise belässt. Zum Zweiten ist es erfrischend, dass der geistes- und sozialwissenschaftliche Diskurs nicht geschlossen, sondern für Anregungen und Anschlüsse aus anderen, namentlich naturwissenschaftlichen Disziplinen geöffnet wird. [...] Kastl kann gut belegen, dass die Doppelerfahrung des Körpers spätestens seit Descartes zu Verständnis- und Begriffsproblemen geführt hat, die sich bis heute nicht vollständig lösen lassen. Er findet jedoch genügend Belege dafür, dass die Zurechnung von Phänomenen entweder zu ‚Leib‘ oder zu ‚Körper‘ einem hohen Maß an Willkür folgt, woraus wiederum zu schließen ist, dass die Unterscheidung selbst nicht sonderlich viel trägt. Den Terminus ‚Leib‘ empfiehlt er dementsprechend aufzugeben. Die Doppelerfahrung bleibt dennoch bestehen und mahnt aus Kastls Sicht vor allem dazu, den Begriff des Körpers deskriptiv und zurückhaltend zu verwenden. [...] Die strukturalistische Wende in Merleau-Pontys Körperkonzept, die Kastl nachzeichnet, findet ihren Ausgang nicht mehr in der Annahme eines Primats des Unsichtbaren. Im Gegenteil erscheint ihm in seinem Spätwerk das Sichtbare als Kern von Strukturen. Nicht mehr das stumme Subjekt hinter dem bewussten Subjekt steht im Fokus, sondern die sichtbaren Bewegungen des Körpers als raum-zeitliche Phänomene. Mit dieser Wende sind radikale Absagen an die Bewusstseinsphilosophie verbunden.“Gregor Bongaerts in: Soziologische Revue 2022; 45 (2): 181-188
„Die Körpersoziologie [...] könnte Kastls Buch als Anregung nehmen, Merleau-Pontys und Kastls daran anschließende Überlegungen zur Phänomenologie der Bewegung sowie zum Verhältnis von Körper und Gedächtnis für eine stärkere Berücksichtigung von ‚bewegten Körpern‘ sowie eine begriffliche Spezifizierung von Konzepten wie ‚Körperwissen‘ oder ‚implizites Wissen‘ zu nutzen. Eine Fundgrube und vielleicht sogar ein Vergnügen ist Kastls Buch wohl primär für Fans von Merleau-Ponty, da sich der Autor tief in die erst vor Kurzem veröffentlichten Arbeiten Merleau-Pontys hineingegraben hat und damit Entwicklungen innerhalb von Merleau-Pontys Werk nachzeichnet, die so einem breiten Publikum womöglich noch nicht bekannt sind.“ Robert Gugutzer in: Soziologische Revue 2022; 45 (2): 171-180
Unter dem Link https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/merleauponty_kastl findet sich ein ausführliches Interview zu dem 2021 erschienenen Buch "Generalität des Körpers".